Zeigen, was der Animationsfilm kann
Im Sommer lud FIFTITU% zu zwei Animationsfilmabenden ins Moviemento Kino. Michaela Schoissengeier hat sich das Animationsfilmfestival tricky women angesehen und berichtet über ein 2-Tage-Festival, mehrere Schwerpunkte – und fokussiert am Ende auf Arbeiten von Veronika Schubert.
„Getting Closer“ das Jahresmotto 2017 von FIFTITU% war die Überschrift der beiden Filmabende im Juni. Die Festivaldirektorinnen Birgit Wagner und Waltraud Grausgruber von tricky women Wien, die das Programm zusammengestellt haben, setzten bei der Auswahl der Beiträge noch die Schwerpunkte „Migration/Family“ und „Beziehungen/Gesellschaften“.
Insgesamt wurden 19 Beiträge von internationalen Filmschaffenden gezeigt und es wurde sichtbar, was der Animationsfilm alles kann. Wagner und Grausgruber, die auch am ersten Abend anwesend waren, war es wichtig, neben den Inhalten auch die Vielfalt von unterschiedlichen Techniken zu zeigen. Von sehr einfachen, wenigen Strichen bis zu aufwändigen Figuren aus Knetmasse wurde die Bandbreite der Möglichkeiten gut dargestellt.
1998 ist das Gründungsjahr von FIFTITU%, tricky women flimmerte 2001 das erste Mal über die Leinwand. Seitdem fand das internationale Animationsfilmfestival in Wien 14 Mal statt, immer Anfang März, rund um den internationalen Frauen*tag, und legt dabei den Fokus auf die Arbeiten von Frauen*. Damit bekleidet tricky women eine herausragende Position in der internationalen Filmlandschaft. Neben dem Wettbewerb bietet das Festival in thematisch immer wieder neu ausgerichteten Spezialprogrammen und Retrospektiven einen Überblick über das Animationsfilmschaffen von Künstlerinnen aus aller Welt und insbesondere von österreichischen Filmemacherinnen. 2017 stand Japan, das Land mit einer langen und reichen Tradition an Animes und Mangas im Mittelpunkt des Geschehens.
FIFTITU%
„2016 haben wir mit dem Jahresfokus Break it down versucht, heteronormative Strukturen frontal anzugehen und aufzubrechen und eine Reinterpretation von Geschlecht, Sprache und Handeln zu forcieren.“1, heißt es im Programm von FIFTITU%. FIFTITU% wird kommendes Jahr 20 Jahre alt und solche Jubiläen lösen so manche Ambivalenzen aus. Ein Grund zum Feiern? Ja, sicher! Feste feiern ist schön. Andererseits zeigt es auch den Zustand der Gesellschaft, die sich in vielen Angelegenheiten verändert hat und sich weiter ändert, die Geschlechterfrage gehört nur bedingt dazu. FIFTITU% ist lästig, FIFTITU% bleibt dran, FIFTITU% reflektiert sich selber kritisch – Attribute, die nicht immer gern gesehen werden, noch weniger wertgeschätzt, was sich auch in der Verringerung von monetären Zuwendungen zeigt.
Veronika Schubert: In erster Linie
Veronika Schubert im weißen Schutzanzug, mit Atemmaske und Taucherbrille nähert sie sich ihrem Arbeitsplatz, den sie nur durch herunterhängende Plastikfolien erreicht. Der Laptop liegt verkehrt mit dem Bildschirm auf den Rücken. Über 3000 kleine Glasplättchen sollen es werden, die sie feinsäuberlich nacheinander auf den Bildschirm legt und auf denen sie dann mit einem Gravierstift Wolkenformationen nachzeichnet, besser gesagt nachgraviert. „Ein so GRAVIERENDES Thema wie die Art und Weise des Umgangs mit Flüchtlingen in Krisensituationen konnte nur in Glas graviert werden“, meint die Künstlerin auf ihrer Homepage. Die so entstandenen Linien lassen jedoch nicht mehr unbedingt an Wolken denken, sondern ähneln eher sich ständig verändernden Grenzlinien auf Landkarten. Daraus ist der 5’20 Minuten lange Animationsfilm „In erster Linie“ entstanden, der 2016 seine Premiere feierte und beim Vienna shorts festival 2017 zum besten österreichischen Film gekürt wurde – Herzliche Gratulation!
Veronika Schubert sammelt und archiviert Sätze und das schon seit ihrer Jugendzeit. Konsequent arbeitet sie mit dem Medium Sprache. Mittlerweile ist schon ein beachtlicher Fundus angewachsen, auf den sie für ihre Arbeiten immer wieder zurückgreifen kann. Vertont wurde der Kurzfilm „In erster Linie“ mit einzelnen Sätzen aus Nachrichtensendungen des österreichischen Fernsehens, die ab September 2015 aufgenommen wurden. Die daraus montierte Collage bildet die Hilflosigkeit und Unfähigkeit der österreichischen Politik ebenso ab wie die Uneinigkeit auf europäischer Ebene. „In erster Linie“ gehörte dem Programm „Beziehungen/Gesellschaftsstrukturen“ am zweiten Filmabend an. Der Film irritiert, verstört und macht neugierig.
Und was machst du so?
Veronika Schubert macht vieles, zum Beispiel strickt sie als Diplomarbeit 2005 ihren Film „Tele-Dialog“ und beschäftigt sich darin mit der Sprache „einfach gestrickter“ Fernsehsendungen. Davor, 2004, wurde zur Präsentation des Videos „Schildertausch“ auf die Fassade des architekturforums oberösterreich das Zitat „Und was machst du so? angebracht, das aus ihrer Zeitungsüberschriften-Sammlung stammt, noch immer die Hausmauer des afos ziert und zum kurzen Innehalten einlädt. 2010 entsteht die Arbeit „Säg gaad“ – dafür verwendet sie handschriftlich aufgezeichnete Lustenauer Dialektwörter. Hunderte überlagerte Einzelbilder von gestickten Umrisslinien reproduzieren sich immer wieder neu. Veronika Schubert ist in Vorarlberg geboren und zeigt vor dem Hintergrund ihrer eigenen Herkunft die Komplexität der Konstruktion von Persönlichkeit. Dazwischen und danach gibt es viele wunderbare Arbeiten, worin Sprache filetiert, wortwörtlich zerlegt und neu zusammengesetzt wird, verbunden mit präzisem Handwerk. Eine schöne umfangreiche Werkschau gibt es auf der Homepage der Künstlerin.
1 www.fiftitu.at/de/node/405
Veronika Schubert, geboren in Vorarlberg, studierte experimentelle visuelle Gestaltung an der Kunstuniversität in Linz und lebt in Wien.
Im Rohnerhaus gibt es aktuell eine Überschriften-Arbeit zu sehen.
05.–07. 10. 2017: SELBST.BESTIMMT
Rohnerhaus, Lauterach (Vorarlberg)
„Archiv-Nr. 0749: Wo ist hier der Speisewagen“, Print auf Papier, Breite ca. 1,5 m.
www.veronika-schubert.at/galerie/2017.html
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